Lange hatten wir nach so etwas gesucht
Unser neues Zuhause sollte freistehend sein. Frei, im Sinne von keine Nachbarn mehr. Frei auch in jeder anderen Hinsicht, es sollte ganz oben auf einem Hügel stehen, so dass es nichts gibt, was zu irgendeiner Tageszeit dem Sonnenschein im Weg stehen könnte. Unverbaubar, deswegen muss natürlich der Hügel Bestandteil des Anwesens, also ein "eigener" Hügel sein. Und es sollte im Val D'Orcia sein. In allen diesen Punkten waren für uns keine Zugeständnisse denkbar.
Wo wir kompromissbereit waren, bzw. es aus Etatgründen sein mussten, war der Zustand der Gebäude. Genaugenommen haben wir ganz gezielt nach einer Ruine gesucht, denn bei den bereits renovierten Anwesen bezahlt man zuerst die erfolgte Renovierung, reißt dann aber doch wieder alles um bis es einem gefällt. Diesen Umweg wollten wir uns also ganz bewusst ersparen.
In einer der vielen Nächte, die ich mit Internetrecherche verbracht habe, stand es dann plötzlich vor mir auf dem Bildschirm: Eine Azienda Agricola mit dem klangvollen Namen Podere Cancelli (ausgesprochen "Podere Kandschelli", Podere mit Betonung auf dem ersten e) . Obwohl im Immobilieninserat nur die Ortschaft San Quirico D'Orcia genannt war, habe ich es anhand der Bilder sofort auf Google Maps gefunden. Mikro-Lage: perfekt, eigener Hügel. Makro-Lage: Einwandfrei, Val D'Orcia, vier Kilometer Luftlinie vom Ortszentrum San Quirico entfernt. Zustand: desolat bzw. "kollabierend", wie es später im Notarvertrag so treffend formuliert werden sollte.
Die Kontaktaufnahme zum Maklerbüro 'Living in Val Dorcia' verlief sehr schnell und sehr freundlich. Wir haben sofort einen Besichtigungstermin vereinbart. Letizia, die Maklerin, war dann doch ziemlich erstaunt als ich sagte, wir könnten uns gleich dort treffen, ich wüsste wo es ist.
20. Februar 2017
Der erste Kontakt
Unser erstes Treffen vor Ort verlief originell, und irgendwie typisch italienisch. Maurizio, der Eigentümer, hat uns mit mediterraner Jovialität sein Schmuckstück präsentiert. Schwungvoll mit den riesigen alten Schlüsseln die Türen aufgesperrt. Uns im Plauderton, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt, gebeten uns im Obergeschoss doch an den Wänden entlangzutasten, damit wir nicht durch den Boden brechen und wieder im Erdgeschoss landen. Immer wieder die Vorzüge der guten alten Bausubstanz betont. An einen Satz erinnere ich mich noch ganz genau: "Seit wir vor 30 Jahren all die Stützen hier reingestellt haben, hat es kein bisschen mehr nachgegeben". Auch zu der Tatsache, dass das gesamt Hauptgebäude so gut wie keine waagrechten oder senkrechten Bestandteile aufweist, hatte er eine ganz eigene Theorie: "Der Lehmboden lebt, an manchen Stellen wächst er nach oben und hebt Teile des Gebäudes an". OK... mein physikalisches und geologisches Verständnis sowie drei Jahrzehnte Baustellenerfahrung sagten mir eher, dass das schwere Gebäude mangels Fundamente einfach im Lehmboden versinkt. Die Maklerin wusste während Maurizios wortgewaltigen Ausführung manchmal nicht mehr, wo sie hinschauen soll... ;-)
Wie auch immer, wir hatten uns bereits auf eine etwas schaurige Art in das Anwesen verliebt. Die gesamte zukünftige Nutzung und Gestaltung lag schon klar auf der Hand. Es sollte einfach nur noch losgehen... aber das hat sich dann doch noch ganz schön in die Länge gezogen. Aber zuerst einmal:
Das Podere
Cancelli besteht aus vier Gebäuden:
• Das zweigeschossige Hauptgebäude, Baujahr ca. 1800, welches unser zukünftiges Zuhause wird.
• Der ehemalige Stall, ebenfalls ca. 1800, durch einen kleinen Innenhof mit dem Haupthaus verbunden. Der wird in Zukunft mein Fotostudio.
• Die Maschinenhalle, wesentlich jünger, 1992 erbaut. Diese wird unser Gästehaus, sprich das Agriturismo. Wunderbarerweise ist die Maschinenhalle unterkellert, bzw. von der Hangseite aus betrachtet zweistöckig. Die untere Etage weist mit gut drei Metern eine angenehme Raumhöhe auf und wird in Zukunft unser Raum für Seminare und Workshops. Auf den folgenden Bildern wirkt das Gästehaus durch die unproportional großen Tore und Fenster viel kleiner als es in Wirklichkeit ist. Jedoch bietet es mit seinen 13 x 8 Metern rund 100 Quadratmeter pro Etage. Bei der ersten Besichtigung standen in der oberen Etage ein gigantischer Mähdrescher und ein mächtiger Caterpillar Bulldozer, in der unteren Etage standen 5 Traktoren.
• Das vierte Gebäude ist eigentlich kein Gebäude, sondern ein "Fienile", ein typisch toskanisches Heulager, also ein recht hohes Dach auf windigen rostigen Stahlstützen, ohne Seitenwände. Das wird und muss es auch bleiben, nur das Asbestdach wird ausgetauscht und die Konstruktion verstärkt.
Wir sind nach der gemeinsamen Besichtigung abends nochmal hin gefahren, und selbst ich, der den Sternenhimmel in Italien von Kindheit an kennt, habe gestaunt. Ein ganz kleines bisschen unheimlich war es aber schon auch, die große verlassene Ruine in völliger Dunkelheit und Abgeschiedenheit...
21. Februar 2017
Am nächsten Morgen bin ich vor Sonnenaufgang aufgestanden, um das Podere nochmal ganz in Ruhe und alleine zu betrachten und auf mich wirken zu lassen. Die winterliche Morgenstimmung war sehr schön, also beschloss ich, es zuerst einmal von allen Seiten zu fotografieren. In der hügeligen Landschaft des Val D'Orcia gelingt das viel besser, wenn man sich selbst in größerer Entfernung befindet, sprich auf einem benachbarten Hügel. So wird das Anwesen auch in einen viel besseren Kontext mit der umgebenden Landschaft gesetzt.
Die Stunden, die ich dabei verbracht habe, waren faszinierend: Vor Sonnenaufgang lag die Temperatur bei -2° C, alles war fein mit Reif bedeckt und es war auch allgemein recht frisch. Aber dann zeigte sich der erste schmale Streifen der Sonne über den Hügeln im Osten, alles wurde plötzlich golden und hell, und schlagartig konnte ich die Kraft und die Wärme der Sonne spüren. Für einen gebürtigen Bayern war das schon ein Erlebnis, sowas im Februar. Minuten nach Sonnenaufgang wurde mir warm, der Reif war verschwunden, und der toskanische Lehm war aufgetaut und begann wieder wie gewohnt an meinen Schuhen zu kleben ;-)
Dieser hübsche künstliche Weiher befindet sich unmittelbar rechts von Diana's Auto auf dem vorigen Bild. Er gehört nicht mit zu unserem Anwesen (bzw. ihn mitzukaufen lag jenseits von unserem Etat). Die Besonderheiten des Gewässers: Eine wunderbare Wasserqualität (kein Phosphat, Nitrat, Nitrit, Schwermetall o.ä. nachweisbar, selbst getestet). Am Weiher leben viele kleine Schildkröten, sobald die Ufer von der Sonne beschienen werden, finden sie sich auf Steinen und Baumstämmen ein und tanken gemütlich die Wärme. Oben auf dem Hügel der bekannte Zypressenkreis.
Am Nachmittag sind wir dann nochmal zu zweit hingefahren und haben einige Aufnahmen aus unmittelbarer Nähe gemacht:
Als Stadtmenschen wie wir kann man Begriffe wie "Hektar" gar nicht richtig erfassen, darum wollten wir die Ländereien einmal abgehen. Wir haben an dem Februarnachmittag nur die westliche Hälfte des Hügels geschafft.
Wer es bis hierhin idyllisch fand
der könnte jetzt auch die Seite verlassen. Ab jetzt wird es nämlich ernst: Das Haupthaus und das Studio von innen:
Ins Obergeschoss konnten wir heute mangels Schlüssel nicht mehr rein, aber der Anblick wäre ähnlich gewesen ;-)
Was ich sehr bemerkenswert fand: Im gesamten Gebäude roch es nicht im geringsten muffig (auch nicht oben, wo noch Fensterscheiben drin sind). Es ist auch nicht feucht, außer natürlich da, wo es direkt hineinregnet. Kein Schimmel, kein gar nichts. Die Baubiologie scheint perfekt zu funktionieren. Die Räume im Untergeschoss kamen mir auf den ersten Eindruck sehr niedrig vor, ich dachte schon daran, den Boden tiefer legen zu müssen. Eine spätere Messung ergab jedoch, dass die mindeste Höhe, an der Unterkante der starken Balken (bzw. relativ rohen Baumstämme), immer über 2,70 Meter liegt. Ha! Kein Vergleich zu den lächerlich niedrigen Räumen in alten bayerischen Bauernhöfen. Ja, in good old Bavaria hatte ich mich nämlich alternativ auch umgesehen. Aber bei den angebotenen Objekten gab es immer wieder die selben Gruselfaktoren: Die Lage war so gut wie immer zwischen den Hügeln, was im Winter einen späten Sonnenauf- und frühen bzw. gar nicht sichtbaren Sonnenuntergang bedeutet. Dazu die damals üblichen Raumhöhen von knapp zwei Metern... nein danke. Ich bin doch kein Höhlenbewohner. Da käme ja nur die "aus-zwei-Etagen-mach-eine" -Methode in Frage, wobei man natürlich wieder viel Wohnfläche verliert oder entsprechend dazu bauen muss, sofern man darf...
Mein zukünftiges Fotostudio
Dieser Gebäudetrakt sieht dank der großzügigen Fenster und Dachfenster viel freundlicher aus. Auch die üppige Raumbegrünung trägt viel zum positiven Gesamteindruck bei, als Gärtner weiß ich das schon zu schätzen ;-)
Bei Sonnenuntergang haben wir uns vorerst vom Podere Cancelli verabschiedet, aber irgendwie wussten wir damals schon, es würde nicht für lange sein!